Rechtstestbed

Wie ist es rechtlich zu bewerten, wenn Maschinen Verträge abschließen? Empfehlungen sollen im Pilotprojekt erarbeitet werden.

© Fraunhofer IML

Neues Kapitel in der Rechtsprechung

Wenn Sie einen Vertrag abschließen und durchführen, dann gilt das BGB, ggf. ergänzend das HGB. Wenn Maschinen in der Industrie 4.0 Verträge schließen und diese anschließend vollautomatisiert durchführen, dann gilt es, zahlreiche schwierige Rechtsfragen zu klären! Denn technisch ist es bereits möglich, Maschinen miteinander verhandeln und Verträge abschließen zu lassen. Doch was bedeutet das für das geltende Recht? Oder vielleicht eher: Welches Recht gilt und wie sehen rechtssichere Lösungen aus? Diese und weitere Fragen sollen im Projekt Recht-Testbeds beantwortet werden.

Umgebung, um Kommunikation von Maschinen zu untersuchen

Das Recht-Testbed ist dafür da, verschiedene Szenarien zu simulieren, bei welchen Maschinen Verträge abschließen und verhandeln. Es sollen beispielhaft Logistik- und Produktionsabläufe getestet werden. Hier ist nicht im Fokus, ob dies technisch möglich ist, denn das ist es bereits. Vielmehr ist interessant, wie die einzelnen Abläufe rechtlich zu bewerten sind. Denn eine Maschine kann aktuell z. B. keinen rechtlich relevanten „Willen“ bilden. Zudem stellt sich die Frage: Wer haftet, wenn aufgrund der Entscheidungen von Maschinen Schäden entstehen? Dies sollen Juristen bewerten und erste Handlungsfelder aufzeigen sowie Richtlinien erstellen. Hinzu kommt der Sicherheitsaspekt bei „smart contracts“. Mit Hilfe von Blockchain-Technologien sollen hier sichere und bezahlbare Lösungen für die Praxis entwickelt werden. 

Mehr Technik – weniger Bürokratie

Vor allem für KMU ist das Projekt von großer Bedeutung. Sie können so sicher und kostengünstig ausprobieren, wie ihre Maschinen im Rahmen ihres Geschäftsmodelles Entscheidungen treffen. Solche Tests ohne Unterstützung umzusetzen, wäre so teuer und risikoreich, dass viele KMU vermutlich nicht oder nur begrenzt an der Entwicklung teilnähmen. Somit wird der deutschen Industrie die Möglichkeit gegeben, sich weltweit weiter als Spitze bei Industrie 4.0-Prozessen zu positionieren.

„Das Projekt ist ein großer Schritt in Richtung Vollautomatisierung”, so der Projektleiter Martin Böhmer vom Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik (IML). „Es wird viel bürokratische Arbeit von Maschinen übernommen werden können. Außerdem können Geschäftsprozesse durch ‘smart contracts‘ deutlich beschleunigt werden.” Eben diese Vollautomatisierung muss gut durchdacht, sicher und rechtlich abgesichert umgesetzt werden. Nur so kann ein nachhaltiger Erfolg dieser technischen Entwicklung gewährleistet werden. Über das Recht-Testbed kann sichergestellt werden, dass Kontrolle und Transparenz über automatisierte Prozesse herrschen.

Verhandlungsmuster und Handlungsempfehlungen für die Praxis

Auf der einen Seite wird eine Versuchsumgebung erzeugt, mit welcher Geschäftsprozesse entwickelt und umfangreich getestet werden können. Dabei werden verschiedene Muster für das Verhandeln von Maschinen erstellt, damit KMU eine leichte Übersetzung in ihre Praxis finden. Auf der anderen Seite werden Handlungsempfehlungen zu neuen rechtlichen Standards für die Politik und Unternehmen formuliert. Es gibt noch viele offene Fragen für Maschinen in Bezug auf das geltende Recht. Hier wird mit juristischer Expertise aus Wissenschaft und Praxis vorgedacht: Neben der wissenschaftlichen Untersuchung juristischer Fragen wird über ausgesuchte Schadensszenarien in simulierten Gerichtsprozessen verhandelt.

Projekthintergrund

Das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gefördert Projekt ist am 1. Juni 2019 gestartet und läuft bis zum 31. Mai 2023. Die Projektleitung übernimmt das Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik (IML). Daneben sind das Fraunhofer-Institut für Software- und Systemtechnik (ISST), die Universität des Saarlandes mit dem Institut für Rechtsinformatik sowie die Ruhr-Universität Bochum mit dem Horst Görtz Institut für IT-Sicherheit die weiteren Projektpartner.

Das Projekt erfährt die volle Unterstützung von der Plattform Industrie 4.0. „Es ist wichtig, dass für ein solches zukunftsweisendes Projekt von Anfang an der Transfer in die Industrie mitgedacht wird. Dafür wollen wir Sorge tragen und mit unserem fachlichen Wissen unterstützen”, so Dr. Hans-Jürgen Schlinkert, Leiter der Arbeitsgruppe “Rechtliche Rahmenbedingungen”. Die Plattform stellt eine Verknüpfung mit der Praxis sicher. Vor allem die Arbeitsgruppen‘Technologie- und Anwendungsszenarien’ und ‘Rechtliche Rahmenbedingungen’ unterstützen das Projekt und stehen beratend und evaluierend zur Verfügung. 

Ansprechpartner:

Martin Böhmer
Projektleitung
Abteilungsleiter Informationslogistik und Assistenzsysteme
Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML
Email: martin.boehmer@iml.fraunhofer.de
Tel.: +49 (0) 231 / 9743- 203